Ein Gedenkstein für die österreichischen Opfer der Shoa in Maly Trostinec
Aus der Ferne ist ein Stein zu sehen, ein monolithisches Ganzes. Je näher man ihm kommt, umso deutlicher werden Details und Fragmente - ähnlich einer historischen Annäherung. Keine Seite dieses auf den ersten Blick homogenen Massivs ist besonders hervorgehoben. Egal, von wo man sich ihm nähert - sei es auf den Wegen oder über die Wiesen - die Geschichte bleibt die Selbe.
Der leicht geschwungene Weg durch die Landschaft wird jedoch durch dieses Massiv jäh unterbrochen. Der Besucher wird auf seiner Route bewusst gebremst. Der Stein selbst versperrt den Pfad zum einen rein optisch, zum anderen als physische Barriere. Ein Wechsel des Bodenbelages vom Weg zum Fundament des Massivs erzeugt eine Schwelle und definiert einen klar gefassten Raum. Der Besucher betritt bewusst ein gefasstes Geviert in diesem großen Areal, das einzig den österreichischen Opfern gewidmet ist. Ein einfaches „Vorbeiflanieren“ ist nicht möglich und verlangt nach einer Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner Geschichte. Die Ausrichtung und die Stellung des Steins verbinden Wien und Maly Trostinec und transloziert so die Richtung der Transporte ins Heute.
Mit dem Überschreiten der Schwelle und dem Betreten des „Fundaments“ wird man selbst zu einem Teil der Gesellschaft, an die hier erinnert wird. Auf dieser gemeinschaftlichen Basis steht mittig das Massiv. Um diese Gemeinsamkeit zu unterstreichen, sind Boden und aufragender Stein aus dem selben Material gefertigt.
Das Massiv wird in zehn gleich große Stelen gebrochen - als Symbol für die zehn „Wiener Transporte“. Sie werden mit einem geringen Abstand zueinander aufgestellt. Durch diese tatsächliche Heterogenität werden die Bruchkanten ebenso deutlich sichtbar wie subtile Durchblicke möglich. Die Bruchkanten zeigen das willkürliche Herausreißen der Opfer aus der Gesellschaft, die Spalten zwischen den Stelen erweitern den Blick des Betrachters in die Ferne - ein bewusster Kontrapunkt zur Endlichkeit der Stelen.
In die Stelen ist ein durchlaufendes, heterogenes und an den Rändern unregelmäßig gebrochenes Band geschlagen, welches das Innere des Steins teilweise freilegt. Es sind die Vornamen der Deportierten, die hier zum Vorschein kommen. Sie sind jedoch nicht klar und deutlich lesbar, sondern vielmehr ungeordnet aus dem Stein geschlagen. In den Stein gemeißelt und im unregelmäßigen Wechsel erhaben aus ihm hervortretend, überlagern sie sich in Teilen, unterbrechen sich gegenseitig, um sich an anderer Stelle wieder zu ergänzen. Immer wieder sind Teile der Namen erkennbar und legen so bruchstückweise die Erinnerung frei. Bewusst werden nur Vornamen gewählt, stehen sie doch vielmehr noch als Familiennamen für die intime und persönliche Bindung zwischen den Menschen. So wird das Massiv der Namen zur Projektionsfläche individueller Geschichten jenseits möglicher Assoziation bezüglich Stand oder Alter der Opfer. Nicht die Einzelperson wird zudem aus der Masse hervorgehoben, da der vermeintlich singuläre Vorname tatsächlich von mehreren Menschen getragen wird.
Einem Massiv gleich sind die Stelen also zum einen gefüllt mit Namen, die fragmentarisch ablesbar sind. Zum anderen zeigen die unregelmäßigen Vertiefungen, welche unvorhersehbaren Lücken entstehen, wenn Menschen aus unserer Mitte gerissen werden.